Geschichte und Selbstverständnis
Unabhängig von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main entstand 1994 die Kehillah Chadaschah (hebr. Neue Gemeinde), um liberale, egalitäre Gottesdienste in Frankfurt am Main abzuhalten.
1998 folgte die Kehillah Chadaschah einer Einladung der Jüdischen Gemeinde, ihre Gottesdienste und Veranstaltungen in den Gemeinderäumlichkeiten durchzuführen. Die neue Situation brachte neue Strukturen mit sich: 2001 gründeten die Mitglieder der Kehillah Chadaschah den Egalitären Minjan in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main und den Förderverein Freunde des Egalitären Minjan. Als anerkannter Teil der Frankfurter Einheitsgemeinde trägt der Egalitäre Minjan zur Vielfalt jüdischer Religionspraxis bei.
Seit 2005 werden abwechselnd Freitagabend und Samstagmorgen (Schacharit) Gottesdienste gehalten.
Der Minjan setzt sich intensiv mit den Inhalten der jüdischen Tradition auseinander und legt Wert auf deren Vermittlung an seine Mitglieder. Dadurch werden seine Mitglieder zunehmend dazu befähigt, aktiv und eigenverantwortlich an den Gottesdiensten teilzunehmen bzw. diese mitzugestalten. Ob Schiur oder Gottesdienst – Jeder und Jede kann sich persönlich in das Gemeindeleben einbringen.
Rabbinerin Klapheck und Chasan Kempin werden bei den religiösen Aufgaben von ehrenamtlichen Synagogenvorständen (Gabbaim und Gabbajot) unterstützt (insbesondere bei der Festlegung der Termine, Organisation der Gottesdienste und der Feiertage). Der Vorstand des Fördervereins nimmt administrative und strukturelle Aufgaben wahr.
Der Egalitäre Minjan ist die einzige liberale, jüdische Gemeinde im gesamten Rhein-Main-Gebiet.
Chronologie
Frauen in der Synagoge in Hannover tragen anlässlich Simchat Tora mit Einverständnis des damals dort amtierenden Rabbiners Dr. Henry Brandt die Thorarollen.
Als Folge der Wiedervereinigung Deutschlands ziehen die Truppen der US-Armee aus Frankfurt ab. Dies betrifft auch die Chapel der Armee, die viele der Gründungsmitglieder von Kehillah Chadaschah an jüdischen Feiertagen besuchten.
Micha Brumlik und Andy Steiman laden zu einem ersten Treffen von Interessierten an einem egalitären Gottesdienst ein. Zu dem Treffen im Philantropin kommen etwa 30 Personen. Von da an finden alle zwei Wochen Schiurim und Gottesdienste, zunächst in privaten Wohnungen, später in gemieteten Räumen in der Frankfurter Frauenschule und im Fritz Bauer Institut statt. Fast zur selben Zeit entstehen ähnliche Gruppen in zahlreichen deutschen Städten wie Köln, München, Berlin oder Hannover.
Am 2.9.1994 findet die Gründung von Kehillah Chadaschah e. V. als erster Organisationsform statt.
Seit 1994 feiert die Gemeinschaft regelmäßig Freitagabend Kabbalat Schabbat-Gottesdienste – zunächst neben Petra Theilhaber und Stephen Riegelhaupt unter der Leitung von Daniel Kempin. Auch werden die jüdischen Feiertage begangen.
Auf Initiative der Kehillah Chadaschah werden ab 1995 jährliche überregionale Tagungen liberal eingestellter jüdischer Gruppierungen aus ganz Deutschland in der Evangelischen Akademie Arnoldshain gehalten. Die Entwicklung mündet in die Gründung der Union progressiver Juden. Kehillah Chadaschah entschließt sich jedoch unabhängig zu bleiben. Die Gruppe will ihren eigenen Gebetsstil entwickeln, dabei an die liberale Tradition Frankfurts anknüpfen, ohne eine Austrittsgemeinde zu werden.
Der ehemalige Vorsitzende der Frankfurter Gemeinde, Ignatz Bubis sel. A., lädt Kehillah Chadaschah ein, sich in der Jüdischen Gemeinde zu treffen. Er bietet der Gruppe von Seiten der Gemeinde finanzielle Unterstützung und Räumlichkeiten an. Nach langen internen Gesprächen entscheidet sich die Kehillah Chadaschah zu einer Annäherung an die Gemeinde. Von Oktober 1998 an trifft sie sich in den Räumen des Gemeindezentrums. Seitdem ist Daniel Kempin offiziell Vorbeter.
Die Kehillah Chadaschah strukturiert sich um in den Egalitären Minjan in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main. Mit der Umwandlung verbunden ist zugleich die Gründung des Fördervereins Freunde des Egalitären Minjan.
Der Egalitäre Minjan feierte das zehnjährige Bestehen der Synagogengemeinschaft mit einem Festgottesdienst und einer Podiumsdiskussion. Gäste und Mitwirkende sind Kantorin Avitall Gerstetter und Rabbinerin Elisa Klapheck, Berlin, Dr. Jan Mühlstein, München, Prof. Micha Brumlik, Dr. Rachel Heuberger, und Dr. Susanna Keval, Frankfurt am Main. Im selben Jahr amtiert Rabbinerin Elisa Klapheck zu den Hohen Feiertagen und leitet ab März 2005 regelmäßige Lern-Wochenenden mit Morgen-Gottesdiensten und Schiurim.
Der Egalitäre Minjan feiert im Juni 2006 das zwölfjährige Bestehen der Synagogengemeinschaft mit einer „kulturellen Bat Mizwa“. Neun Frauen des Minjan leiten zusammen mit Rabbinerin Elisa Klapheck den Gottesdienst. Etwa 300 Gäste nehmen an der Veranstaltung teil. Im darauffolgenden Jahr wird das dreizehnjährige Bestehen mit einer von den Männern gestalteten „kulturellen Bar Mizwa“ gefeiert.
Der Egalitäre Minjan erhält die ehemalige Wochentagssynagoge in der Westend-Synagoge mit einem zusätzlichen Schiurraum. Die Räume werden von den Minjan-Mitgliedern auf ihren ursprünglichen Zustand hin restauriert.
Im September 2009 findet unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit und in Anwesenheit von Vorstandsmitgliedern der Frankfurter Jüdischen Gemeinde die offizielle Amtseinführung von Rabbinerin Elisa Klapheck statt. Das Ereignis, an dem der spätere Zentralratspräsident Dr. Dieter Graumann mit einem ausdrücklichen Bekenntnis zum Pluralismus teilnimmt, steht im Zeichen der endgültigen Etablierung des Minjan in der Jüdischen Gemeinde Frankfurts.
Innerhalb des jüdischen Lebens in Deutschland repräsentiert der Egalitäre Minjan heute das Schule machende „Frankfurter Modell“. Dieses vereinigt im Rahmen der Einheitsgemeinde verschiedene jüdische Ausrichtungen - von orthodox bis liberal - unter einem Dach.
Der Minjan zeichnet sich aus mit partizipativen Gottesdiensten, bei denen Männer und Frauen gleichberechtigt und gleichverantwortlich sind und bei denen eine inklusive, warme Stimmung herrscht. Er pflegt ein hohes Niveau an inhaltlicher Auseinandersetzung mit der Tora, dem Talmud, liberaler Halacha sowie der Beziehung zwischen Judentum und allgemeinen gesellschaftlichen Fragen. Außerdem veranstaltet der Minjan Aktivitäten, die weit über die eigenen vier Wände hinaus gehen – etwa ein regelmäßiger Europäischer Schabbat, bei dem man sich mit anderen liberalen Gemeinden und Gruppen austauscht, oder ein Tag der Offenen Tür, um der interessierten Bevölkerung Frankfurts einen Einblick zu geben. Mit all dem trägt der Egalitäre Minjan zur Lebendigkeit des Judentums in Deutschland bei.
Gäste
In den Jahren 1994-2009 amtierten immer wieder eingeladene Rabbiner/innen, Kantor/innen und Vorbeter/innen bei Kehilla Chadaschah / Egalitärer Minjan. Unter den Gästen waren u.a.:
Rabbiner Dr. Johann Barta, Stuttgart (1994)
Rabbiner Dr. Mosche Zemer, sel.A., Tel Aviv (1995 / 1996)
Rabbiner Dr. Daniel Katz, Essen (1997 / 1998)
Rabbiner Andy Steinman, Frankfurt am Main (1999 / 2000)
Rabbinerin Prof. Dr. Eveline Goodman-Thau, (2001)
Prof. Dr. Channa Safrai, sel. A. (2001)
Rabbiner (COL, US Army [ret]) Kenneth Leinwand, (2001)
Rabbiner Izchak Marmorstein, Vancouver (2002)
Kantor François Lilienfeld, Narbonne (2003)
Prof. Dr. Jossi Schwarz, Tel, Aviv (2004)
Kantorin Avitall Gerstetter, Berlin (2004)
Prof. Dr. Allmuth Bruckstein, Berlin – Jerusalem (2004)
Rabbinerin Elisa Klapheck, Berlin – Amsterdam (2004)
Chasan Jalda Rebling, Berlin (2005, 2006)
Diane Lakein, Bonn (2008)